Das Arbeitsgericht Berlin hat im Kopftuchverbot am Arbeitsplatz eine unzulässige Diskriminierung entdeckt. Wird eine Muslima nicht eingestellt, weil sie sich weigert am Arbeitsplatz des Kopftuch auszuziehen, so werde sie auf Grund ihres Glaubens diskriminiert.

Ein Kopftuchverbot in Einrichtungen von kirchlichen Trägern bleibt unberührt, da dies in die innere Autonomie der Religionsgemeinschaften eingreifen würde. Auch ist ein Kopftuchverbot im Staatsdienst anders zu bewerten, da der Staat eine Verpflichtung zur religiösen Neutralität habe und daher von seinen Angestellten und Beamten im Dienst religiöse Neutralität erwarten kann.

Nichtreligiöse, private Arbeitgeber dürfen dagegen keine religiöse Neutralität als Begründung für religionsneutrale, säkulare Kleiderordnungen anführen. Private Arbeitgeber würden dadurch diskriminieren. Die Privatautonomie ist bekanntlich durch das Diskriminierungsverbot eingeschränkt. Gleichzeitig gilt für private Gewerbe natürlich auch kein Gebot zur religiösen Neutralität und die Trennung von Staat und Religion greift hier natürlich nicht. Daraus schlussfolgert nun ein Gericht, Private dürfen keine religiöse Neutralität für sich in Anspruch nehmen, wie es der Staat tut.

Der kuriose Witz an dieser Begründung ist der innere Widerspruch zur Begründung warum private Gewerbe eigentlich keiner Pflicht zur religiösen Neutralität unterworfen sind. Warum müssen Private nicht religiös neutral sein? Klar, wegen der Privatautonomie!

Privatautonomie ist auch nicht einfach nur eine politische Phrase, sie folgt unmittelbar aus der allgemeinen Handlungsfreiheit und den anderen Grundrechten. Im Gegensatz zum Staat sind Privatpersonen grundrechtsberechtigt, der Staat ist grundrechtsverpflichtet. Ein private Arbeitgeber hat also nicht in erster Linie eine Grundrechtsverpflichtung, sondern selber Grundrechte. Hieraus folgt, dass ein Privater keine religiöse Neutralität wahren muss. Und hieraus wird jetzt eine Pflicht konstruiert, keine religiöse Neutralität waren zu dürfen. Das ist schwerlich haltbar, denn die Religionsfreiheit besteht nicht nur in ihrer positiven Variante. Es gibt auch negative Religionsfreiheit, das Recht sich von Religion fernhalten zu dürfen.

Man kann nicht mit der Privatautonomie argumentieren, warum keine religiöse Neutralitätsverpflichtung besteht, dann aber gesetzlich Vorschreiben die Privatautonomie dazu nutzen zu müssen keine religiöse Neutralität zu wahren. Dann handelt es sich offensichtlich nicht mehr um Privatautonomie.

Hier wird das Recht sich von religiösen Dingen fern halten zu dürfen als ein Privileg des Staates gesehen. Die Religionsfreiheit potenzielle Staatsbediensteter darf auf Grund der weltanschaulichen Neutralität des Staates während der Dienstzeit durch Gesetz eingeschränkt werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Aber die Grundrechtpositionen eines privaten Arbeitgebers soll zwangsläufig (zumindest bei nichtkirchlichen Trägern) hinter denen der Angestellten zurücktreten? Wird die Religionsfreiheit der Angestellten hier überhaupt wirklich verletzt? Schließlich binden Grundrecht in erster Linie den Staat. Es gibt zwar eine Drittwirkung. Hier wird aber niemand dazu gezwungen bei einem religiös neutralen Arzt zu arbeiten, dafür aber ein eventuell säkularer Arzt gezwungen religiöse Symbole in seinem privaten Geschäft zu dulden.

Vielleicht kann der Staat hier Grundrechte der Arbeitgeber einschränken. Dann darf er aber nicht von privaten Arbeitgebern etwas verpflichtend verlangen, ja ihnen allen ernstes etwas vorschreiben, was sich der Staat für sich selber verbittet.

Religiöse Neutralität darf kein staatliches Privileg werden. Es kann nicht sein, dass der Staat für sich in Anspruch nimmt, nicht mit religiösen Symbolen bei seinen Angestellten zu nahe in Kontakt zu kommen, während er private Arbeitgeber dazu verpflichtet religiöse Symbole in ihrer Nähe zu tolerieren.

Gleichzeitig bietet sich auch schon eine formale Umgehungsmöglichkeit dieser staatlichen Verpflichtung zur mangelnde Trennung von Dienstleister und Religion. Denn das in Deutschland übliche Privileg für Religionsgemeinschaften, ihre internen Angelegenheiten selbstverantwortlich zu regeln, bleibt ja unberührt. Und Weltanschauungsgemeinschaften sind Religionsgemeinschaften grundsätzlich in Deutschland gleichgestellt. Also einfach einen atheistische oder humanistische Weltanschauungsgemeinschaft gründen und ihr angegliederte Sozialverbände die Arztpraxen formal eröffnen lassen. Und schon kann munter drauf los diskriminiert werden. Das Beste: Jetzt muss man sich nicht einmal mehr an eine Gleichbehandlung aller Religionen halten, da man sich nicht mehr  auf religiöse Neutralität berufen muss, wie der Staat sie für sich in Anspruch nimmt. Eine Weltanschauungsgemeinschaft darf zu unterschiedlichen Konfessionen unterschiedliche Haltungen einnehmen. Protestanten gehen, Katholiken nicht. Juden gehen, Muslime nicht. Wer die Evolutionstheorie leugnet, darf hier nicht arbeiten, wer die drohende Klimakatastrophe bestreitet schon. Und das aller Beste: Als Weltanschauungsgemeinschaft müssen Sie sich nicht nur auf Ansprüche bezüglich des Verhaltens (inklusive Kleiderwahl) während der Arbeitszeit beschränken. Katholische Krankenhäuser und andere Sozialeinrichtungen dürfen qualifizierte, aber wiederverheiratete Bewerber wegen mangelnder Konformität ihres privaten (im Sinne von nicht beruflichen) Lebenswandels mit der katholischen Morallehre ablehnen. Daher kann in der atheistischen Arztpraxis gelten: Wer außerhalb seiner Arbeitszeiten privat ein Kopftuch trägt fliegt. Punkt! Weitere Rechtfertigung unnötig, es gilt die Autonomie der Weltanschauungsgemeinschaften und darauf folgend das Recht, ihre Angestellten an der Einhaltung ihrer moralischen Vorstellungen zu messen. Diese müssen nicht weiter rechtfertigt werden. Daher fliegt auch jeder, der außerhalb der Dienstzeit – aber öffentlich – abtreibende Frauen als Mörderinnen bezeichnet. Punkt.